Waldpädagogik mit geflüchteten Menschen

Am 16. März 2016 diskutierten Experten im Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Landau zur Rolle der Waldpädagogik in der Arbeit mit Geflüchteten. Eine Übersicht der Gesprächsbeiträge.

 

Teilnehmer beim Workshop „Waldpädagogik mit geflüchteten Menschen“ am 16. März 2016 in Landau. Fotos: Andreas Wolfrum

Von Andreas Wolfrum und Dr. Joachim Hamberger

Nach einer Vorstellungsrunde referierte Kathrin Düser, Walderlebniszentrum Regensburg, über die Ziele und Funktionen der Waldpädagogik im Allgemeinen, sowie die Rolle der Walderlebniszentren in Bayern. Hubert Hobmaier und Andreas Wolfrum stellten die Waldjugendspiele vor, die  im Landkreis Dingolfing-Landau sehr erfolgreich in Form von „Robin Hood – Spielen“ durchgeführt werden.

Im Rahmen des Workshops wurden folgende Fragestellungen diskutiert:

1. Welche Rolle spielt die Sprache in der Waldpädagogik?

  • Bereits jetzt sind kaum noch rein deutschsprachige Klassen mit den Waldpädagogen unterwegs. Je nach Auswahl der Aktivitäten und Qualität der Pädagogen ist die Spanne sehr groß: von die Sprache spielt – bei Bedarf – gar keine Rolle“, bis hin zu „ohne sehr gute Deutschkenntnisse geht es nicht“.
  • Gerade die Erlebnispädagogik gibt Methoden an die Hand, bei denen die Sprache kaum eine Rolle spielt.
  • Reine Wissensvermittlung hat gerade bei den „U-Klassen“ kaum Bedeutung.
  • Häufig ist nicht die Sprache problematisch, sondern der Dialekt der Führer (z.B. breites Niederbairisch).


2. Welche Gruppen können erreicht werden?

  • Flüchtlingskinder lassen sich tendenziell am schnellsten integrieren und sind meist unvoreingenommen interessiert.
  • Derzeit ist bei der Einwanderung eine Verschiebung hin zu Familien erkennbar.
  • Familiennachzug führt zu steigendem Kinderanteil (Familiengrößen: 3-6 Personen)
  • Als Zielgruppen haben sich für den anschließenden Workshop 4 Kreise herausgebildet:

    1. „unbegleitete minderjährige Fluchtlinge“ (UMF)
    2. Erwachsene „betreute“ Gruppen
    3. Familien
    4. berufsschulpflichtige Geflüchtete (BAF-Klassen)


3. Sonstiges:

  • Terminfindung: entgegen der landläufigen Meinung sitzen Flüchtlinge nicht den ganzen Tag auf Abruf bereit. Sie haben viele Termine, v.a. bei Behörden. Es ist daher nicht so einfach einen Termin zu finden, an denen eine geschlossene Gruppe Zeit hat. Auch hier bietet sich der Ansatz über Schulklassen oder Sprachkurse an, da dann die Gruppe bereits zusammen ist.
  • Transport: Wie kommen die Teilnehmer in den Wald? Das Beste ist, wenn ein Wald fußläufig erreichbar ist. Für Fahrten gibt es zwar Fördermöglichkeiten (über LRA bzw. Caritas), aber die Beantragung ist aufwendig und langwierig. Auch hier bieten sich Schulen oder organisierte Veranstaltungen an. Darüber ist die Mittelbeantragung und Organisation vereinfacht.
  • Die Schulbildung in den Herkunftsländern ist differenziert (z.B. Afghanistan: 50 Jahre Krieg, Syrien: 5 Jahre Krieg), der Anteil an gut ausgebildeten Personen ist aber sehr gering. Häufig ist gute Schulbildung sehr stark vom Einkommen abhängig.
  • Deutschkenntnisse sind nur teilweise und meist rudimentär vorhanden. Grundlegende Englischkenntnisse sind von Vorteil, bzw. unterstützt ein Übersetzer. Manchmal ist auch unter den Asylsuchenden eine Person dabei, die bereits sehr gut Deutsch spricht und die Übersetzung übernehmen kann.
  • Pünktlichkeit wird sehr weit gefasst. Es ist daher von Vorteil, nicht zu warten, sondern einfach loszulegen. So können die Teilnehmer erkennen, dass sie etwas versäumen können.
  • Haftung: Fluchtlinge sind über den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz versichert. Eine private Haftpflichtversicherung besteht jedoch in den allerwenigsten Fällen. Daher: vorhandene Strukturen, wo es geht, nutzen! Vor allem Veranstaltungen über Schulen sind hier versicherungstechnisch abgedeckt, aber auch Mitarbeiter von Helferkreisen sind über Hilfsverbände (z.B. Caritas) mitversichert.
  • Die Gruppengröße ist möglichst klein zu halten, so dass man noch alle Personen im Blick hat. Zudem ist ein 2. Betreuer sehr dringend anzuraten.
  • Die Motivation ist sehr wichtig. Ehrenamtliche Helfer oder engagierte Vermieter von Asylunterkünften haben einen gute Draht zu den Gruppen und können helfen, geeignete Teilnehmer (engagiert und interessiert) auszuwählen.
  • Probleme unter den Flüchtlingsgruppen sind zu beachten; z.B. sind Afghanen und Afrikaner für manche Syrer „minderes“ Volk. Es kann zu ethnischen und religiösen Problemen kommen.
  • Nicht zu lange Wegstrecken einplanen.
  • Gibt es in den Herkunftsländern Wälder, sind diese oft von gefährlichen Tieren bewohnt (Giftschlangen, Spinnen, Raubtiere).

In einem „World-Café“ wurden in wechselnden und gemischten Arbeitsgruppen mit Forstleuten und Flüchtlingsexperten Chancen, Herausforderungen und Angebote erarbeitet.

„Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“

Meist untergebracht in Wohngruppen; schulpflichtig;

Chancen der Zielgruppe:

  • Körperlich anstrengende Aktivitäten möglich
  • Selbstfindung (Platz im großen Ganzen; wollen Platz in der Gesellschaft finden)
  • relativ homogene Gruppe
  • relativ ausgewogene Gruppendynamik; Betreuer/Übersetzer vorhanden/Teambuilding
  • Entschleunigung willkommen, Offenheit für Ruhezonen entdecken
  • Faszination / Überraschung / Emotionaler Zugang möglich
  • Analogieschluss zur eigenen Situation (Zeit/Reifen/Wachsen/Fluss)
  • Heimat / etwas typisch Deutsches kennenlernen
  • Chance sich selbst zu verwurzeln / Heilung / Freizeit / Interesse für Wald-Berufe
  • Grenzen aufzeigen / Regeln vermitteln


Herausforderungen der Zielgruppe:

  • Motivation der Altersgruppe
  • Einschätzung von Gefahren (sie überschätzen sich leicht)
  • Haben viel Energie
  • Sprache
  • evtl. kommen Traumata zum Vorschein (unbekannte Auslöser)
  • Kostenfrage
  • unbekannte interne Konflikte
  • Pubertät
  • für Waldpädagoginnen evtl. schwieriger


Konkrete Umsetzung, Angebote

  • nachmittags gut möglich
  • Organisation / Absprache mit Betreuer (LRA?)
  • fußläufig erreichbare Orte von Vorteil
  • Teambuilding
  • Schatzsuche
  • Auspowern
  • prakt. Tätigkeiten
  • Überraschungen erwarten
  • Ehrenamtliche ins Boot holen
  • Multiplikatoren schulen (für Waldspaziergange)
  • Bezug zur Arbeitswelt
  • Werkzeuge/Maschinen/Handyfotos (?)/GPS


Erwachsene „betreute“ Gruppen

Welche Chancen bietet diese Zielgruppe?

  • Ehrenamtlicher mit Zugang zur Gruppe als Schlüsselfigur
  • Unterschiedliche Erfahrungen die eingebracht werden können
  • Interesse an Umwelt- und Naturschutz wecken
  • Offen für praktische Arbeit
  • Einstieg in dauerhafte Angebote mit Interessierten
  • Transport zum Wald noch relativ einfach
  • zu selbstständigen Waldbesuchen ermuntern
  • Vorstellen von Berufen zum Thema Wald und Holz


Welche Herausforderungen (Risiken) stellen sich?

  • Desinteresse allgemein
  • Handy als Ablenkung
  • Spannungen in der Gruppe
  • Sprachbarrieren
  • Organisation des Transports
  • Interesse wecken am deutschen Waldverständnis (Umweltverständnis)
  • Zielgruppenorientiert
  • Wiederholung
  • Zeitlich möglichst viele zu erreichen (Doodle)
  • Angst/Hemmungen
  • Gefahren und Grenzen aufzeigen
  • Wochenende bevorzugen
  • mit Bildern arbeiten bringt mehr Erfolg
  • für Transportkosten öffentliche Gelder organisieren


Konkrete Angebote:

  • Aufräumaktion (Müll aus dem Wald) mit Vorbildfunktion
  • Maschinenvorführung von der Axt bis zum Harvester
  • körperliche Aktivitäten (Pflanzen, Kulturpflege, Entasten, Laufspiele…)
  • Ansprechen, Informieren der ehrenamtlichen Betreuer
  • Tierwelt vorstellen
  • Bei jeder Aktivität Gefahren und Grenzen zeigen
  • Mit moderner Technik (Handys) arbeiten. (Geocaching?)



Familien

Chancen

  • Über Kinder Zugang zu anderen Familien
  • Offenheit  Kinder haben kaum Berührungsängste und sind offener als die Eltern
  • verminderte Sprachbarriere
  • Vertrautheit im Familienverbund / Angst nehmen
  • Gemeinsames Erleben / Gesprächsstoff auch Zuhause
  • Gemeinsam mit anderen Familien (deutschen) ’ Integration; Freundschaften knüpfen
  • Familienstrukturen nutzen


Herausforderungen

  • große Unterschiede innerhalb Gruppe (Eltern schauen nur zu?!)
  • Organisation des Transportes (wie kommen sie in den Wald; wer zahlt?)
  • Ängste vorm Wald
  • Organisation Zusammenstellung (wer bestimmt, wer mit darf? alle?)
  • Muslima (machen Frauen mit?)
  • Alter der Kinder beachten
  • Gruppengröße bedenken


Konkrete Umsetzung – Angebote

  • Transport: LRA  Caritas  Ehrenamtliche? (wer zahlt?  Fördertöpfe?)
  • langsam heranführen 1. Wege/2. Wald
  • Groß gegen Klein“
  • Nachmittags/Wochenende
  • Gemeinsames Essen / Zubereiten (auch als krönender“ Abschluss; Gemüsetopf überm
  • Lagerfeuer?)
  • Pflanzen  Kindsbäume
  • Wurzeln schlagen!


BAF
(berufsschulpflichtige Asylbewerber und Flüchtlinge)


  • Untergebracht in Wohngruppen oder bei den Familien
  • Meist dauerhafter Aufenthaltsstatus
  • Altersstruktur: 16  25 Jahre
  • Schulische Vorbereitung auf den Berufsalltag
  • Meist zweigeteilte Ausbildung (10. Klasse: Deutsch, Recht, Alltag in Dtl., generell: Vorbereitung auf das Leben in Dtl.; 11. Klasse: Vorbereitung auf den Berufsalltag)


Chancen

  • hohe Motivation
  • schulische Veranstaltung (Versicherungsschutz besteht)
  • Klassenverband vorhanden. Sie kennen sich untereinander.
  • Begleitung durch Lehrer
  • Vorwissen über die Gruppe durch die Lehrer (kennen „Problemschüler“; auf was muss man achten)
  • Vor-/Nachbereitung in der Schule möglich
  • Deutschkenntnisse durch Unterricht in der Schule
  • Förderung möglich (Kostenlos im Rahmen unseres Bildungsauftrages)
  • Praktisches Arbeiten während der Führungen möglich und sinnvoll
  • Kennenlernen von Berufsbildern/+ Tätigkeiten als Berufsvorbereitung
  • Sozialpädagogen / Sprachkundige vorhanden


Risiken/Herausforderung

  • Zwangsveranstaltung, weil schulische Veranstaltung
  • Motivation durch Lernort Wald (die Schüler kommen mal raus aus der Schule)
  • schwieriges Alter (i.d.R. 16-25)
  • Niveau beachten (Trotz relativ hohem Alter oft kaum Bildung und Vorwissen (z.B. geringe mathematische Kenntnisse); Spiele die für jüngere Jugendliche und Kinder gemacht wurden, sind durchaus möglich)
  • Pubertät
  • Scham sich vor den anderen zu blamieren?
  • Sprachbarriere (jedoch weniger als bei anderen Zielgruppen; Fachausdrücke?)
  • nicht bayernweit überall vorhanden (BAF)
  • Traumata einiger Schüler könnten Schwierigkeiten bei bestimmten Spielen, Orten auslösen


Umsetzung/Angebote

  • Wiederholungsführungen „Jahreszeiten“
  • praktische Arbeiten Nistkasten bauen / Pflanzen / Pflegen
  • Erlebnispädagogische Aktionen im Wald (mit allen Sinnen)
  • Berufsorientiertes Angebot
  • Teambildende Spiele / Folgeführungen
  • An Waldjugendspielen beteiligen
  • Bsp.: 3 Führungen über das Berufsschuljahr:
    1. reine Waldführung mit erlebnispädagogischen Elementen (v.a. Sinne und Emotionen ansprechen); 2. Waldführung mit Bezug zur Waldarbeit (Pflanzen, Pflegen, Holzernte, Harvester…) 3. Führung in Sägewerk und/oder Schreinerei. Abschluss: Gemeinsamer Bau eines Holzgegenstandes (z.B. Bank/Tisch)
    Ziel: Aufbau einer gefestigten Gruppe; mehrere Führungen erhöhen den Lerneffekt; Zusammenhänge können deutlich gemacht werden (Wald-Holz-Möbel); Berufsbilder kennenlernen; Abschluss durch gemeinsames Bauprojekt, das einen Bezug zum Erlebten herstellt und ein Heimatgefühl wecken kann (z.B.: Bank bleibt an Schule/in Dingolfing und ist öffentlich zuganglich)


Gesamtfazit – Tipps für Waldpädagogen


  • Wichtig: Veranstaltungen zielgruppenorientiert planen
  • mehr Personal einplanen als normal üblich, weil es „Überraschungen“ geben kann.
  • Mehr Zeit wegen Sprachproblemen einplanen

  • Vertrauenspersonen (Schlüsselfiguren) integrieren
  • Motivation sehr wichtig (Menschen, die in Angst um Angehörige o.a. sind, haben einen anderen Fokus)
  • Motivationslokomotiven in Erfahrung bringen

  • Mit erfahrenen Partnern zusammenarbeiten (z.B. Berufsschule)
  • Versicherungsfragen klären! (LRA, Caritas, Schulen können helfen)
  • Bereiten Sie die Führung gut vor. Vermeiden Sie bei den Aktionen, dass die Sprache zu viel Raum einnimmt, aber vermitteln Sie auch Wissen (z.B. 4-5 Baumarten, Tiere im Wald, Ge- und Verbote).
  • Seien Sie vorsichtig mit Aussagen wie diese Pflanzen/Tiere sind essbar. Gerade bei Pilzen kann dies zu u.U. gefährlichen Folgeerscheinungen führen.

  • Bleiben Sie beim Ablauf der Führung flexibel. Viele lehrreiche und angenehme Situationen ergeben sich spontan und sollten nicht abgewürgt werden.



Institution und Infos:

Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Landau a. d. Isar (AELF Landau)
Andreas Wolfrum
Anton-Kreiner-Straße 1
94405 Landau a. d. Isar
Tel.: 09951 / 693-412
E-Mail: andreas.wolfrum@aelf-ln.bayern.de